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Ronny Kolbe|Silke Aßmann
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Verhaltenstherapeutische Arbeit bei Kindern und Jugendlichen

Auffälliges oder störendes Verhalten von Kindern und Jugendlichen stellt eine große Herausforderung für das Umfeld dar und durchzieht viele Lebensbereiche des Betroffenen. Ewige Kämpfe und Diskussionen bei den Hausaufgaben oder beim abendlichen Ins-Bett-Gehen, heftige Konflikte mit Geschwistern oder Mitschülern, Stören im Unterricht oder Vermeidungsstrategien beim Lernen, übermäßige Scheu und Ängstlichkeit, sozialer Rückzug oder Aggressionen sind nur einige Beispiele, die den Familien und dem Umfeld zu schaffen machen können. Oft leiden dadurch die vorschulischen oder schulischen Leistungen und die Atmosphäre innerhalb der Familie.

Meistens unternehmen Erziehungsberechtigte große Anstrengungen zur Besserung der Situation, an Literatur zum Thema und an Ratschlägen aus der Umgebung mangelt es auch nicht. Doch irgendwie stellt sich trotz größter Bemühungen und viel Zuwendung keine Besserung ein. Was tun?

Wie entstehen Verhaltensstörungen?

Jedes Kind ist bestrebt, möglichst angenehme Signale von seinen Bezugspersonen zu erhalten und richtet sein Verhalten danach aus. Dauerhaft wiederholt es ein bestimmtes Verhalten nur, wenn „es sich lohnt". Das ist ganz normal und liegt in unserer Biologie.

Kinder lernen also aus dem Verhalten ihrer Bezugspersonen (sie tun etwas und lernen daraus, wie die Eltern, Geschwister, Lehrer, Erzieher, Therapeuten... genau im selben Moment darauf reagieren). Dieses „genau im selben Moment" ist ein sehr wichtiger Aspekt, wir sagen auch „Sekundenfenster" dazu. Das bedeutet, dass alle Signale, die bis zu 1 Sekunde auf ein Verhalten folgen, mit diesem auf unbewusstem Weg in Verbindung gebracht werden und das Verhalten intensiv steuern.

Angenehme Beziehungssignale (wir sagen auch „Belohnungen" dazu) bauen Verhalten auf, unangenehme Beziehungssignale (oder „Bestrafungen") bauen Verhalten ab.

Es gibt 2 Formen der Belohnung:

  • Typ1: etwas Angenehmes tritt ein (z.B. freundlicher Blick, freundliche Stimme, Umarmen, Süßigkeiten, Fernsehen...)
  • Typ2: etwas Unangenehmes fällt weg (z.B. Kind kann die Hausaufgaben oder eine schwierige Arbeit vermeiden)

Es gibt auch 2 Formen der Bestrafung:

  • Typ1: etwas Unangenehmes tritt ein (z.B. strafender Blick, harte Stimme, Strafarbeit, Schimpfen...)
  • Typ2: etwas Angenehmes fällt weg (Fernseh-, Taschengeldentzug, die Gutenachtgeschichte oder der geplante Kinobesuch etc. fällt aus...)

Die Gesetzmäßigkeiten für den Auf- und Abbau von Verhalten gelten für erwünschtes wie unerwünschtes Verhalten gleichermaßen. Der Prozess des Sendens und Empfangens von Beziehungssignalen läuft für beide Seiten größtenteils unbewusst ab. Daher kann es dazu kommen, dass unerwünschtes Verhalten, wie z.B. Aggressionen, Ängste, Verweigerungsverhalten oder auch Schulunlust und Lernblockierungen, ohne es zu wissen, durch belohnende Signale verstärkt und dadurch aufgebaut wird. Genauso kann es passieren, dass ein erwünschtes Verhalten, wie z.B. Anstrengungsbereitschaft, Motivation zum Lernen und  Hilfsbereitschaft, durch strafende Signale abgebaut wird. Für eine dauerhafte positive Veränderung kann es sehr hilfreich sein, diese Prozesse unter die Lupe zu nehmen.

Wie können wir mit unerwünschtem Verhalten umgehen?

Wir bieten in unserer Praxis eine Videoanalyse von Standardsituationen und ein anschließendes Elterntraining an.

Hierbei können Eltern:

  • die Verhaltensmuster ihrer Kinder genauer unter die Lupe nehmen
  • ihre eigenen Reaktionen im Sekundenfenster erkennen bzw. bewusst machen
  • ihre Wahrnehmung diesbezüglich trainieren
  • Möglichkeiten für Veränderungen finden und erproben
  • die Umsetzung dieser Veränderungen üben

Wenn man die unbewusst ablaufenden Interaktionsmuster durchschaut, sie sich bewusst macht, ist das der erste Schritt zu einer positiven Veränderung im Alltag.

Ziel des Elterntrainings ist es, die Kinder genauer wahrzunehmen, im täglichen Miteinander mit dem Kind bewusster und angemessen mit Anforderungen sowie mit Belohnung und Bestrafung umzugehen und damit selbst positiv auf die kindliche Entwicklung und auf eine entspannte Familiensituation einzuwirken.

Beispiele, wie unbewusst ungünstiges Verhalten gefördert wird

Im Folgenden werden einige frei erfundene typische Alltagssituationen dargestellt und analysiert:

1. Beispiel

Die Geschwister Martin und Sabine streiten sich oft. Dabei werden sie sehr laut und  prügeln sich auch. Ihre Eltern ärgern sich sehr darüber und schimpfen mit den beiden. Manchmal spielen Sabine und Martin friedlich in ihrem Zimmer, dann reagieren die Eltern nicht und lassen die beiden in Ruhe, um sich selbst von dem ewigen Gestreite zu erholen.

Was passiert hier?

Die Kinder erhalten für das Verhalten „Streiten" und „Prügeln" viel Zuwendung. Dies ist eine Belohnung vom Typ 1 (etwas Angenehmes passiert). Die Zuwendung besteht zwar auch aus Bestrafung (Typ 1 – etwas Unangenehmes passiert – das Schimpfen), insgesamt überwiegt jedoch die Belohnung, da es für das Verhalten „friedliches Spielen" gar keine Zuwendung gibt (das Fehlen der Zuwendung ist eine Bestrafung vom Typ 2 – etwas Angenehmes entfällt).
Daher gibt es für Martin und Sabine keinen Grund, mit dem Streiten aufzuhören.

2. Beispiel

Die 8jährige Katrin hat Schwierigkeiten beim Schreiben. Obwohl sie sich große Mühe gibt, gelingen ihr die Buchstaben nicht so gut. Ihre Mutter macht sich große Sorgen deswegen. Wenn Katrin schreibt, ist die Mutter angespannt und korrigiert Katrin oft. Dabei ist ihre Stimme nicht so warm wie sonst, ihr Gesicht ist ernst.

Was passiert hier?

Für ihr Bemühen erhält Katrin eine Bestrafung Typ 2 (etwas Angenehmes entfällt, nämlich die sonst nette Stimme und das freundliche Gesicht der Mutter) und eine Bestrafung Typ1 (etwas Unangenehmes passiert, das sorgenvolle, ernste Gesicht der Mutter, die kühle Stimme, strafende Korrekturen).
Katrin lernt hier, dass Fehler schlimm sind und dass sich die Anstrengung nicht lohnt, da sie ja sowieso viele Fehler macht. Sie wird für ihre Anstrengung nicht gelobt. Also wird sie sich in Zukunft immer seltener anstrengen und somit immer schlechter schreiben. Ihr Selbstwertgefühl wird sich nicht gut entwickeln, sie wird auch in anderen Bereichen Angst vor Fehlern haben und sich selbst negativ bewerten.

3. Beispiel

Klaus ist oft bockig, wenn er seinen Willen nicht bekommt, und wird schnell aggressiv. Seine Oma kauft ihm deshalb immer gleich die Süßigkeiten, die er haben will. Sie will nicht, dass er ein großes Geschrei macht oder „ausrastet".

Was passiert hier?

Klaus erfährt  Belohnungen vom Typ1 (etwas Angenehmes passiert – er hat einen Machtgewinn gegenüber der Oma, er bekommt Süßigkeiten). Langfristig betrachtet ist die Situation für Klaus jedoch äußerst negativ. Er lernt nicht, auf etwas zu verzichten. Er wird immer öfter, wenn er nicht bekommt, was er will, aggressiv werden,. Er entwickelt keine „Frustrationstoleranz", also die Fähigkeit, unangenehme Situationen auszuhalten und dabei kooperativ zu bleiben. So werden wichtige soziale Kompetenzen nicht entwickelt, die Beziehungen zu ihm wichtigen Menschen werden darunter leiden.

4. Beispiel

Der 5jährige Oscar bastelt nicht gern, da ihm feinmotorische Tätigkeiten schwer fallen. Immer wenn sein Vater mit ihm basteln will, verweigert Oscar dies und sagt „Ich kann das nicht". Sein Vater redet ihm dann gut zu und versucht ihn zum Mitmachen zu überreden, er bringt viele überzeugende Argumente und diskutiert lange mit Oscar. Meistens basteln sie dann nicht und der Vater ist schließlich sauer.

Was passiert hier?

Oscar erhält für das Verhalten „Verweigern" viele Belohnungen vom Typ1 (liebevolles Zureden, freundliche Stimme, viel Aufmerksamkeit und Zuwendung) sowie vom Typ2 (das unangenehme Basteln wird vermieden).
Auch wenn der Vater am Ende sauer ist (Bestrafung), ist das kein Grund, sich in Zukunft eher auf das Basteln einzulassen, da das Verweigern vorher stark belohnt wurde und die Belohnungen überwiegen.
Langfristig ist dieser Verlauf negativ, da Oscar nicht lernt, schwierige Dinge anzugehen. Es wird ihm an Erfolgserlebnissen mangeln, sein Selbstbewusstsein wird sich nicht gut entwickeln. Seine feinmotorischen Fähigkeiten werden hinter denen der Gleichaltrigen noch weiter zurück fallen.

5. Beispiel

Die 3jährige Lisa ist sehr zierlich. Schon als Baby war sie sehr empfindlich und oft krank. Wenn sie in den Kindergarten soll, weint sie meist. Ihrer Mutter tut das dann leid und sie tröstet Lisa. Manchmal muss Lisa dann nicht in den Kindergarten gehen.

Was passiert hier?

Lisa bekommt für das übertriebene Ängstlichsein und Weinen Belohnungen vom Typ1 (sie wird getröstet, gestreichelt, in den Arm genommen...) und vom Typ2 (sie vermeidet den Kindergartenbesuch).
Langfristig wird Lisa sehr unselbständig und sozial unsicher sein, sie wird sich viel auf andere verlassen, wird schnell weinen und sich wenig zutrauen.